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Gender Troubles. Woher kamen, wohin gehen feministische Ansätze an der IE?

Bericht zu einem Workshop

Das Gründungs-Narrativ der IE erzählt, dass sie auf eine Initiative von sieben (weißen) Männern zurückgeht. Die IE gilt aber auch als in vieler Hinsicht sehr feministisch und ganz offen für queere Perspektiven. Welche Kämpfe, welche Zufälle, welche Hoffnungen, welche Akteur_innen stehen also hinter dieser Geschichte? Woher kommen und wohin gehen IE-Feminismen und -Queerness(es), und worauf richtet sich wessen (Wissens-)Begehren?

Der Workshop „Gender Troubles“ fand im Juni 2014 im Rahmen der Tagung Opens external link in new window„perspektIEven“ statt, bei der Geschichte und Zukunft des Instituts für Internationale Entwicklung (IE) zur Debatte standen.


Begonnen wurde der Workshop mit einer „Erzählrunde“ zur Frage, was die Anwesenden – mehrheitlich ehemalige Studierende der Internationalen Entwicklung – als für sie besonders eindrückliche, wichtige, vielleicht „erste“ Erfahrung mit Gender-Bezogenem, Feministischem, Queeren an der IE wahrnahmen und berichten wollten. Hier ging es stark um Erinnerungen an Lehrende und Lehrveranstaltungen, an die oft als recht fade erlebten obligatorischen „Gender“-Einheiten in den einführenden Ringvorlesungen, aber auch um spannende Lektüren, zündende Momente und nachhaltig inspirierende LVs. Erinnerungen an aktivistische Zusammenhänge kamen ebenfalls zur Sprache, so beispielsweise die Opens external link in new window„Schenke“, das Widerstandscafé an der Uni Wien 2008, der FLIT-[FrauenLesbenIntersexTransgender-]Raum während der „Uni-brennt“-Besetzungen 2009, und ebenso Initiativen wie das Opens external link in new windowTutoriumsprojekt, auch Freundinnengruppen, mit denen gemeinsam LVs besucht oder feministische Lesekreise gestaltet worden waren; für manche hatte sich diese Perspektive erst an der IE selbst eröffnet.

Als zweiten Programmpunkt präsentierte Hanna Hacker, „Leiterin“ des Workshops, ihre eigenen (noch kleinen) Versuche, den Spuren gender-bezogener, feministischer und/oder queerer Inhalte in der Geschichte der IE nachzugehen. Der Schwerpunkt lag dabei auf dem Zeitraum vor 2010/11, d.h. vor dem Beginn ihrer Professur für „Sozial- und Kulturwissenschaftliche Entwicklungsforschung“ und ihren damit verbundenen, sehr expliziten Aktivitäten für einen Auf- und Ausbau feministischer, queerer und postkolonialer Ansätze am Institut (wie feminIEsta sie ja dokumentiert). Zunächst, wie ist das mit dem Gründungs-Narrativ; mit der Story der „Glorreichen Sieben“ am „Wirtshaustisch“? Elke Christiansen schreibt 2010:

„Die ‚IE‘ nahm vor etwas mehr als 20 Jahren ihren Anfang, Walter [Schicho] kam bald danach als aktiver Mitstreiter an Borde. Es begann mit einer Handvoll Professoren [sic!] [Hervorhebung i. O.] der Universität Wien, die an einem Wirtshaustisch saßen und eine Idee entwickelten. In den 70er Jahren wurden unter der Wissenschaftsministerin Herta Firnberg österreichweit zwanzig Lehrstunden eigens budgetiert, um Fragestellungen rund um ‚Entwicklung‘ nachzugehen. Walter Schicho stieß Ende der 80er Jahre zu den von Franz Kolland als ‚glorreiche Sieben‘ Bezeichneten. Sich seiner Erinnerung nicht ganz sicher, meint Kolland, dass die ursprünglichen ‚Gründungsherren‘ außer ihm Herwig Palme, Kunibert Raffer, Helmut Kramer, Peter Feldbauer, Helmut Wohlschlägel und Johann Figl gewesen waren. (…) Die beteiligten Herren wollten diese Möglickeit der Lehre an der Universität Wien ausweiten und ein Lehrangebot mit interdisziplinärem Fundament schaffen.“ (Elke Christiansen: ‚Aus uns wird noch was‘ oder ‚La repressione non ferma il pensiero‘. In: Stichproben. Wiener Zeitschrift für kritische Afrikastudien, 10, 18, 2010, 47-57)

Ähnlich wurde die Geschichte bei der Festveranstaltung zur Institutionalisierung der IE als Institut im Oktober 2011 erzählt. Sie ist zunächst mal so stehen zu lassen. Oder zu demontieren?  

Genauer nachgegangen ist Hanna Hacker dann den Vortragenden, Titeln und Themen von Lehrveranstaltungen ab den 1990ern, also ab der Online-Verfügbarkeit des Lehrangebots der Uni Wien und schließlich ab der Rubrizierung der IE-LVs in den „Vorlesungen für [Hörerinnen und] Hörer aller Fakultäten“ (ab 2002). Ein paar Stichworte zum Aufgefundenen:

  • Vorweg: Natürlich nutzten IE-Studierende immer ein wesentlich breiteres Angebot als das, was unmittelbar unter ihrem Wahlfachbündel bzw. individuellem Diplomstudium in den Vorlesungsverzeichnissen aufscheint. Interessant ist gleichwohl, was es im „engeren Kern“ so gab und was nicht.
  • Eines der ersten zu nennenden Angebote stammte von Irmi (Maral-)Hanak. Sie bot schon im Wintersemester 1996/97 „Gender und Entwicklung“ an, ab 1999/2000 bis 2002/03 „Feministische Perspektiven in der EZA“ – unter diesem Titel gab es dann sehr lang nichts mehr.
  • „Feministisch“ findet sich im (i.e.S.) IE-Lehrangebot offenbar erst wieder im Sommersemester 2009; Aram Ziai lehrt „Feminist perspectives in international political economy“.
  • Davor bzw. dazwischen sind es vor allem LVs der Afrikanistik, die „einschlägig“ titeln, vor allem LVs von Inge Grau, die regelmäßig zu Kolonialität, Missionsgeschichte etc. „und Gender“ lehrte, einmal auch Birgit Fritz mit Theaterarbeit „und Gender“, und ab 2005 immer wieder Martina Kopf, die ihr Lehrangebot auf Frauen als Literaturproduzentinnen konzentrierte, auch ausdrücklich zu Sexualität in afrikanischen Texten lehrte und einmal zusammen mit Araba Johnston-Arthur Texte aus der Diaspora behandelte. Marie Rodet scheint mehrmals mit „Gender“-Themen auf, Michaela Krenčeyová bot zusammen mit Inge Grau „Afrikanische Feminismen“ an, und letztere lehrte mehrmals zusammen mit Walter Schicho zu einem entwicklungsbezogenen „Frauen“- und/oder „Gender“-Thema.
  • Die Programme der Ringvorlesungen, die an der IE ja lange Zeit sehr zahlreich stattfanden, beinhalteten jeweils „Gender“-Einheiten. (Zu diesen wäre erst noch detaillierter zu recherchieren.)
  • Petra Dannecker bietet ab 2009 regelmäßig Lehrveranstaltungen mit „Gender“ im Titel an.
  • „Sexualität“ als Thema von IE- bzw. IE-anrechenbaren LVs taucht, wie oben erwähnt, zu einem ersten Mal 2007 bei Martina Kopf auf (Afrikawissenschaften); 2008 dann via Angeboten von Franz X. Eder (Geschichte) und schließlich in Hanna Hackers erstem IE-Seminar „Sex in Entwicklung“ im Sommersemester 2008.
  • Ausdrücklich „queer“ wurde es wohl erstmals im SoSe 2011, in Hanna Hackers „Queering Development“ betitelten Vorlesung.
  • Christine Klapeer ist dann die erste, die Männlichkeiten in die Titel ihrer IE-LVs aufnimmt.
  • Offen bleibt einstweilen, wie der Studienplanpunkt T IV, betitelt „Kultur und Entwicklung/(…)/Gender“ in das Diplomstudiums-Curriculum kam. Wer hat dies eingebracht, wer fand es wichtig, welche inhaltlichen Vorstellungen verbanden sich damit um 2000?
  • Ähnliches gilt auch für die Integration von „Gender“ in die BA- und MA-Studienpläne. Auch diesbezüglich wäre erst zu rekonstruieren, wie die diesbezüglichen Debatten beispielsweise in den Curricular-Kommissionen verliefen.

Die Lehre und die Lehrenden: Ab Frühjahr 2011 gab es einen Organisierungsversuch in Form einer mehr oder weniger losen Vernetzung von (zunächst hauptsächlich „externen“) Lehrenden, die feministische bzw. feministisch-postkoloniale Inhalte an der IE vertraten/vertreten. Die Beteiligten trafen sich zwei-, dreimal im Semester zu inhaltlichem und strategischem Austausch und richteten eine eigene Mailinglist ein. Regelmäßig beteiligt waren vor allem Erika Doucette, Hanna Hacker, Christine Klapeer, Martina Kopf, Karin Schönpflug und Susan Zimmermann, gelegentlich kamen Petra Purkarthofer, Sabine Prokop, Patricia Zuckerhut und Isa Garde zur Runde dazu. Die Gruppe diskutierte thematisch einschlägige News, brainstormte zu möglichen Gastvortragenden und gemeinsamen Publikationen im Themenfeld feministischer Entwicklungskritik, stellte die jeweils eigenen Lehrveranstaltungskonzepte und -erfahrungen vor und debattierte Möglichkeiten universitärer feministischer Politiken. Last but not least entstand in diesem Kreis die Idee einer Opens external link in new windowfeministischen Ringvorlesung, die schließlich im Sommersemester 2013 mit namhafter internationaler Beteiligung realisiert werden konnte. Als Folge der krassen Reduktion der externen Lehrstunden nach dem Auslaufen des Diplomstudiums, von der feministische Themen merklich betroffen sind, ist dieser Zusammenschluss nach 2014 leider wieder ein wenig obsolet.

Eine Suche nach „frühen“ „einschlägigen“ Diplomarbeitsthemen erwies sich als eher unergiebig. Bis ca. 2006/2007 gibt es ja überhaupt nur wenige IE-Diplomarbeiten. Auch bis 2008/09 spricht in irgend einer Formulierung von „Frauen“ und/oder „Gender“ nur eine Handvoll Titel, so Michaela Krenčeyovás Arbeit zu Schönheitswettbewerben als Empowermentstrategie für von Gewalt bedrohte Mädchen und junge Frauen in Kenia (2008, betreut von Walter Schicho) und Laura Dobuschs – auch in Buchform verfügbare – Analyse von Geschlechterkonstruktionen in der österreichischen EZA (2008, betreut von Karin Schönpflug. (Opens external link in new window„Abgeschlossene Diplomarbeiten" – Individuelles Diplomstudium Internationale Entwicklung)

Wie steht es mit Publikationen aus der Forschung und für die Lehre? Die Veröffentlichungen des Mattersburger Kreises, also JEP (Journal für Entwicklungspolitik, vier Hefte jährlich seit 1986), GEP (Buchreihe „Gesellschaft Entwicklung Politik“, bis 2014 15 Bände) und HSK (Buchreihe „Historische Sozialkunde Internationale Entwicklung“, bis 2014 33 Bände), weisen über Jahre und Jahrzehnte eher unauffällige Titel auf. Das JEP hat einmal „Gender“ im Titel („Gender and Peacebuilding“, 2004) und dann die Opens external link in new window„Sexualitäten und Körperpolitik“ 2013. Die Buchtitel der GEP lesen sich ganz neutral. Im Kontext der HSK erschien verdienstvollerweise immerhin der wichtige Sammelband „Zwangsfreiheiten. Multikulturalität und Feminismus“ (herausgegeben von Birgit Sauer und Sabine Strasser, 2008). Gewiss bedeuten die „neutralen“ Titel nicht, dass es keine feministisch motivierten Einzelbeiträge in den Journalen und Sammelbänden gibt; teilweise ist dies sehr wohl der Fall. So erschienen mehrere wichtige Aufsätze von Irmi Maral-Hanak, z. B. „Feministische Entwicklungstheorien“ (erstm. 2006) und Hanna Hackers „Sex – Gender – Development“ (2005) in GEP-Bänden.

In einem dritten Arbeitsschritt des Workshops ging es unter anderem um Fragen und Kontexte, zu denen Hanna Hackers Input noch gar keine systematischen Recherchen beinhaltet hatte: Welche Bedeutung hatten – für die Frage nach feministischen (und queeren) Präsenzen – die verschiedenen Aktivismus-Phasen an der IE selbst? Welche Rolle spielten hier die Erfahrungen in den Uni-brennt-Monaten? Welche Einbringungen aktivistischer (und theoretischer) Zusammenhänge von „außerhalb“ der IE waren wichtig, wie ist dies abgelaufen? Welche Personen, welche Akteur_innen(gruppen) sind oder waren besonders relevant, wenn es um die Erfolge und Misserfolge von Kämpfen für feministische Inhalte und Strukturen geht? Wie lässt sich die Bedeutung universitärer bzw. institutsbezogener Organisationsstrukuren für unseren thematischen Kontext genauer reflektieren?

Abschließend blieb ein bisschen Zeit für die Frage nach der näheren Zukunft. Wie soll es weitergehen, was wünschen sich die Anwesenden? Stichworte aus dieser letzten Runde, zugleich Handlungsvorschläge und (implizite) Aufforderungen:

  • Die Entwicklungsökonomie-Vorlesung soll wieder werden, was sie war, als „die drei Karins“ (Fischer, Küblböck, Schönpflug) sie hielten, d.h.: feministisch ausgerichtet!
  • An der feminIEsta-Homepage ist unbedingt weiterzuarbeiten, möglichst auch mit Finanzierung :-)
  • Die am Institut im Bereich Gender und Feminismen kompetenten Forschenden und Lehrenden sollten intern mehr und genauere inhaltliche Auseinandersetzungen führen und verdeutlichen, inwiefern sie an unterschiedlichen und/oder gemeinsamen Positionen arbeiten.
  • Es bleibt die Frage: Wer fordert ein? Soll heißen: Wer/Wo sind die Akteur_innen/Gruppen, die sich für feministische und queere Inhalte, möglichst auch für entsprechende Infrastrukturen, an der IE einsetzen und dies aushandeln können – auch und vor allem, wenn es keine diesbezüglich aktive (studentische) Basisgruppe gibt?
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